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Geschrieben

Hallo!

Ich habe heute einen Text des berühmten Philosophen Roland Barthes über Citroën gefunden. Er schreibt über die damals neue DS19. Huldigung ist noch untertrieben. Der Text wurde 1957 geschrieben. Jeder Satz stimmt, ist so unheimlich wahr, daß man nur ins Schwärmen gerät. Von meinem Citroën-Enthusiasmus mal abgesehen, halte ich dieses Zusammentreffen von Philosophie und Autobericht für das Beste was jemals über ein Fahrzeug geschrieben wurde.

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"Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist. Ich meine damit: Eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet.

Der neue Citroën fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein super-lativisches Objekt darbietet. Man darf nicht vergessen, dass das Objekt der beste Bote der Übernatur ist: es gibt im Objekt zugleich eine Vollkommenheit und ein Fehlen des Ursprungs, etwas Abgeschlossenes und etwas Glänzendes, eine Umwandlung des Lebens in Materie (die Materie ist magischer als das Leben) und letztlich ein Schweigen, das der Ordnung des Wunderbaren angehört. Die Déesse hat alle Wesenszüge (wenigstens beginnt das Publikum sie ihr einmütig zuzuschreiben) eines jener Objekte, die aus der Welt herabgestiegen sind, von denen die Neomanie des 18. Jahrhunderts und die unserer Science- Fiction genährt wurden: Die Déesse ist zunächst ein neuer Nautilus.

Deshalb interessiert man sich bei ihr weniger für die Substanz als für ihre Verbindungsstellen. Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät: Christi Gewand war ohne Naht, wie die Weltraumschiffe der Science-Fiction aus fugenlosem Metall sind. Die DS 19 erhebt keinen Anspruch auf eine völlig glatte Umhüllung, wenn- gleich ihre Gesamtform sehr eingehüllt ist, doch sind es die Übergangsstellen ihrer verschiedenen Flächen, die das Publikum am meisten interessieren. Es betastet voller Eifer die Einfassungen der Fenster, es streicht mit den Fingern den breiten Gummirillen entlang, die die Rückscheibe mit ihrer verchromten Einfassung verbinden. In der DS steckt der Anfang einer neuen Phänomenologie der Zusammmenpassung, als ob man von einer Welt der verschweißten Elemente zu einer solchen von nebeneinander gesetztenElementen überginge, die allein durch die Kraft ihrer wunderbaren Form zusammengehalten, was die Vorstellung einer weniger schwierig zu beherrschenden Natur wecken soll.

Was die Materie selbst angeht, so steht fest, dass sie den Sinn für das Leichte im magischen Verstand unterstützt. Es liegt in der Form eine gewisse Rückkehr zur Aerodynamik, die jedoch insofern neu ist, als sie weniger massiv, weniger schnittig und gelassener ist als die aus der ersten Zeit dieser Mode. Die Geschwindigkeit drückt sich nun in minder aggressiven, minder sportlichen Zeichen aus, als ob sie von einer heroischen zu einer klassischen Form übergegangen wäre.

Diese Vergeistigung erkennt man an der Bedeutung und der Materie der sorgfältig verglasten Flächen. Die Déesse ist deutlich sichtbar eine Preisung der Scheiben, das Blech liefert dafür nur die Partitur. Die Scheiben sind hier keine Fenster mehr, keine Öffnungen , die in die dunkle Karrosserie gebrochen sind, sie sind große Flächen der Luft und der Leere und haben die gleißende Wölbung von Seifenblasen, die harte Dünnheit einer Substanz, die eher insektenhaft als mineralisch ist.

Es handelt sich um eine humanisierte Kunst, und es ist möglich, dass die Déesse einen Wendepunkt in der Mythologie des Automobils bezeichnet. Bisher erinnert das superlativische Auto eher an das Bestiarium der Kraft. Jetzt wird es zugleich vergeistigter und objektiver, und trotz manchen neuerungssüchtigen Selbstgefälligkeiten (das leere Lenkrad) ist es haushälterischer und jener Sublimation der Gerätschaften, die wir unseren zeitgenössischen Haushaltsgeräten finden, angemessener. Das Instrumentenbrett erinnert eher an die Schalterblende eines modernen Herdes als an die in einer Fabrikzentrale: die kleinen Klappen aus mattem, gewellten Blech, die kleinen Schalter mit den weißen Knöpfen, die sehr einfachen Anzeiger, selbst die diskrete Verwendung des Nickels, all das bedeutet eine Art Kontrolle, unter der Bewegung steht, die mehr als Komfort denn als Leistung aufgefaßt wird. Offensichtlich tritt an die Stelle der Alchimie der Geschwindigkeit ein anderes Prinzip: Fahren wird ausgekostet.

Es scheint, dass das Publikum die Neuigkeit der Themen, die man ihm anbietet, auf großartige Weise begriffen hat. Zunächst einmal empfänglich für den Neologismus (eine Pressekampagne hielt es seit Jahren in neugieriger Erwartung), es ist bemüht, sich sehr rasch ein Anpassungs- und Geräteverhalten zu eigen zu machen ( Man muss sich daran gewöhnen?). In den Hallen wird der Ausstellungswagen mit liebevollem, intensivem Eifer besichtigt. Es ist die große Phase der tastenden Entdeckung, der Augenblick, da das wunderbare Visuelle den prüfenden Ansturm des Tastsinns erleidet ( denn der Tastsinn ist unter allen der am stärksten entmystifizierende, im Gegensatz zum Gesichtssinn, der der magischste ist); das Blech, die Verbindungsstellen wer- den berührt, die Polster befühlt , die Sitze aus- probiert, die Türen werden gestreichelt, die Lehnen beklopft. Das Objekt wird vollkommen prostituiert und in Besitz genommen; hervorgegangen aus dem Himmel von Metropolis, wird die Déesse? binnen einer Viertelstunde mediasiert und vollzieht in dieser Bannung die Bewegung der kleinbürgerlichen Beförderung."

Aus: Mythen des Alltags, Frankfurt 1964

Geschrieben

Ich wußte es. SIE SIND UNTER UNS!!!!

Geschrieben

Ziemlich schwülstig der Gute

Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät

Quatsch, noch nie eine Eiche gesehen?

Geschrieben

Was heißt hier "ziemlich"? Der Aufsatz liest sich durch und durch schwülstig. Wenn ein Philosoph im Jahre 1957 einen Gebrauchsgegenstand als Mythos (Göttin) definiert, verwundert dies auch kaum.

Besonders der letzte Absatz beschreibt aber wunderbar den "A-ha"-Effekt, den man bei der ersten Sichtung der "Göttin" erlebt. Und auch die Aussage, dass nicht die mögliche Geschwindigkeit, sondern das komfortable Fahren an sich das eigentliche Vergnügen der DS ausmacht, trifft doch heute immer noch den Nerv vieler überzeugter HP-Anhänger.

Sicher erscheint der Text etwas hoch sterilisiert, um es einmal mit den Worten eines deutschen Fussball-Nationaltrainers zu sagen. ;-)

Gruß,

Achim.

Geschrieben

Mit Fremdwörters kannss Du mich gaanich imprägnieren.

Geschrieben

Ich wollte Dich auch gar nicht intrigieren. Das kann ich Dir auch verbal sagen, schließlich hat jede Seite zwei Medaillien.

Geschrieben

"Gute Polletik zeichnet sich dadurch aus, daß sie über den Tellerrand des nächsten Tages hinausblickt"

Zitat von ???

Geschrieben

Das waren doch die letzten Worte von Inge Meysel, oder bringe ich jetzt etwas durcheinander.

ACCM Martin Goormann
Geschrieben

Hallo Kantia

du bist zurecht begeistert von Barthes!

Finde den Text überhaupt nicht schwülstig. Klar geht der Sprachfluß bei der Übersetzung verloren, ist aber auch ein hartes Brot für den Übersetzer, wenigstens inhaltlich richtig zu liegen (beim letzten Satz stritten wir hier schon mal :-) ).

Ist ein schönes Bild der Déesse, daß sich Geschwindigkeit (!) hier weniger aggressiv und sportlich darstellt ... hat sich leider nicht durchsetzen können, das genußvolle Fahren, nix war's mit Wendepunkt in der Mythologie des Automobils, schadé, schadé, stattdessen: "Gölfe jagen".

nichwahr, Heinz? ;-)

Geschrieben

@ Martin

Freut mich, dass der Text wenigstens Dir gefallen hat. Der Übersetzer hat einen Orden verdient. Was wohl herauskommt, wenn man das Original in eine gängige Online-Übersetzungs-HP eingibt? Den letzen Satz fand ich nach mehrmaligem Lesen und Abwägen nicht mehr so brisant. ;-)

@ Heinz

Franz Josef Antwerpes bei seinem Besuch in Alfred Bioleks Sendung "Alfredissimo". Man soll den Tag nicht vor dem Abend tadeln.

ACCM Martin Goormann
Geschrieben

Ob der nun einen Orden verdient hat, hmm, was verstehst du denn unter "kleinbürgerlicher Beförderung" ? :-)))

Aber egal, in der Form möchte halt niemand über Autos nachdenken. Ist schon etwas schade, vielleicht ergäbe das mal neue Erkenntnisse oder wenigstens Sichtweisen.

In dem üblichen Raserthread findet jedenfalls keinerlei Entwicklung statt. Von vorne bis hinten werden immer wieder die gleichen längst verkrusteten Schleicher/Raser/Gutmensch/Drängler Worthülsen ausgetauscht. Paradox: Man redet über Geschwindigkeit und bewegt sich nicht von der Stelle.

Das Auto als U-Boot :-) (Nautilus), die Autobahn als lebensfeindliche Umwelt und die stolzen U-Bootfahrer schauen genervt durch ihre Bullaugen und kriegen Stress, weil der Platz (insb. nat. auf der linken Spur) nicht für alle reicht. Wie furchtbar ...

Wenn Forscher zu viele Laborratten in zu enge Gehege stecken, so erzeugt das bei den Tieren Stress. Dann werden die Ratten aggressiv gegeneinander. Auf die Idee, die Versuchsanordnung in Frage zu stellen, kommen sie nicht. Den Ratten kann man das freilich nicht vorwerfen, weder können sie denken noch bauen sie ihre Gehege selber ...

Huch, klingt das jetzt finster.

Na, bin ja auch kein Gutmensch ;),

Martin

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