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Am Start im Oldtimer: Michael Naumann, Zeit-Herausgeber, im Citroën 6H/15CV

Nie mehr bremsen

Der Citroën 15CV von 1954 ist das schönste Auto der Welt. Es ist mehr als eine Tonne schwer – und für die grüne Welle wie gemacht.

Der mindestens 85 Jahre alte Herr auf dem Hamburger Wochenmarkt schaut auf das nicht ganz so alte Auto, von Oldtimer zu Oldtimer, und sagt dem stolzen Besitzer: »Die Offiziere wollten ja nicht in den hässlichen Kübelwagen gefahren werden; also haben wir diese genommen.« Ein Auto als Beutekunst. Das war in Frankreich, zwischen 1940 und 1945, und auf die Frage, wem denn diese Autos weggenommen wurden, winkt der ehemalige Wehrmachtschauffeur, denn das war er, etwas gelangweilt ab, geht seines Weges und überlässt die Antwort dem Fahrtwind der Kriegsgeschichte. Dabei handelt es sich bei meinem Wagen um ein Friedensauto, um einen Citroën 6 H/15CV, einen der letzten seines Typs, der 1954 die Werkhallen vor den Toren von Paris verlassen hat, aber eines der ersten Autos überhaupt mit hydropneumatischer Öl-Gas-Federung nebst einer Option für Höhenverstellung im Kofferraum.

Es gehört zum Charakter dieser Kolumne, dass seine Autorinnen und Autoren ihren sozialkritischen Lebensgefühlen auf der Autobahn in meist unerschwinglichen Testfahrzeugen ungebührlich viel Platz. Testfahrzeugen ungebührlich viel Platz einräumen. Diesmal nicht. Erstens ist das Auto zwar selten, aber kaum teurer als ein gepflegtes VW-Cabrio, und zweitens gehört es nicht auf die Autobahn, sondern in die Provence. Dort regnet es kaum, und für die gelegentlichen Tropfen sind die kleinen Scheibenwischer durchaus geeignet (die übrigens auch in der »Ente« 2CV, dem unehelichen Kind des 15CV, nicht hinreichend funktionieren).

Nein, hier singen wir das Lied des Fabrikanten Andre Citroën und seines Designers (er soll Bertone geheißen haben). Im Jahre 1934 stellten sie den »Traction Avant« vor: Das erste Automobil mit selbsttragender Karosserie und Frontantrieb, mit unabhängiger Radaufhängung vorn und Drehstabfederung hinten – der 11CV mit 36 PS, 1,6 Liter Hubraum und einer Höchstgeschwindigkeit von ungefähr 110 km/h bei einem Benzinverbrauch von zwölf Litern auf 100 Kilometern. 1957 wurde die Produktion des 11CV wie auch des 15CV eingestellt, und Citroën machte mit der berühmten »Flunder«, dem DS, einen mächtigen Sprung in die Zukunft. Aber die Vergangenheit des Vorgängermodells war nicht umzubringen. Vielleicht lag das an dem Schauspieler Jean Servais, der in Jules Dassins Filmklassiker Rififi – wie andere französische Filmgangster vor ihm – in einem Traction Avant in die Unsterblichkeit glitt, wenngleich ihm das Drehbuch einen moralisch einwandfreien Exitus vorschrieb. Er fuhr einen 15CV, das war ein Fahrzeug mit Sechszylinder-Reihenmotor mit 77 PS und 2,9 Liter Hubraum, vierfach gelagerter Kurbel- und seitlicher Nockenwelle plus Einscheibentrockenkupplung. Seine höchste Leistungskraft entwickelt er bei 2000 Umdrehungen pro Minute. Er ist langhubig und offenbar unverschleißbar. Die Dreigangschaltung mit Pistolengriff tauchte ebenfalls in der Ente wieder auf.

on diesem 15CV ist hier die Rede. Er ist 4,7Meter lang, 1,8 Meter breit, 1,6 Meter hoch und wiegt 1325 Kilogramm. Noch nie ist es einem 15-CV-Fahrer gelungen, den Wagen in einer Kurve umzuschmeißen. In jedem Elch-Test wäre der Wagen der Elch. Seine einzige Schwäche ist eine Lichtmaschine, die ihre Leistungsgrenze erreicht, wenn alle Aggregate in Betrieb sind: Lampen, Scheibenwischer, Heizung mit Gebläse. Also muss man sich in Winternächten entscheiden: Entweder frieren oder blind fahren. In den Kofferraum passt allenfalls die Beute eines Kreissparkassen-Überfalls, der Michelin-Reservereifen füllt ihn aus.

Es ist der dritte Traction Avant meines Lebens. Auch beim Gebrauch von Oldtimern gilt die Goldfisch-Regel: Diese Tiere haben ein besonders langes Leben, wenn man sie hin und wieder durch neue ersetzt. Den ersten Traction Avant habe ich 1964 einem amerikanischen Studenten verkauft. Das Auto soll heute noch in der Türkei als Taxi dienen. Meine Modelltreue ist wohl begründet. Es ist das schönste Auto der Welt. Die genauso schönen Mercedes-Cabrios der dreißiger Jahre sind historisch kontaminiert.

Die mächtigen Kotflügel des Traction Avant aus massivstem Stahlblech sind eine Reverenz vor dem Schwung von Rokoko-Chaisen; die terrinengroßen Lampen gleichen der beliebten Williams-Birne, die Höhe erlaubt den gelassenen Einstieg des Bourgeois mit Hut, auf den hinteren Sitzen könnten sich die langbeinigen Models von Helmut Newton im Namen der Beinfreiheit räkeln, die Vordertüren gehen in Fahrtrichtung auf – was der Konstruktion einen Hauch von Surrealismus verleiht, wollte man sie während der Fahrt öffnen. Das Auto lässt sich nur mit Bärenkräften am Lenkrad einparken, was daran erinnert, dass es früher für seinesgleichen Remisen gab. Die Windschutzscheibe kann nach vorn mittels eines Schraubmechanismus geöffnet werden, damit der ortstypische Lavendelduft (Provence!) auch nach innen dringt.

Für den Stadtverkehr ist der 15CV aus zwei Gründen besonders gut geeignet. Erstens sind in den deutschen Metropolen die Ampelschaltkreise für die »grüne Welle« seit 1954 offenkundig nicht verändert worden. Dank des behäbigen Antritts und einer genau dosierbaren Beschleunigung muss der 15-CV-Fahrer nie mehr bremsen. Er fährt durch. Zweitens überzieht alle ernsten Gesichter der anderen Verkehrsteilnehmer beim Anblick des Oldtimers eine lächelnde Freundlichkeit. So bestätigt sich die Erkenntnis der Meinungsforscher, dass sich Deutschland in einer Werte-, genauer, in einer Retro-Krise befindet: Die Mehrheit aller Autofahrer sehnt sich nach alten Zeiten. Jedenfalls gewährt sie Oldtimern auch dort Vorfahrt, wo sie nicht existiert. Der Traction Avant ist ein außerordentlicher Höflichkeitskatalysator. Mütter am Straßenrande zeigen ihren Kindern, wie es früher einmal war, als die Milch noch von Kühen kam.

Natürlich muss er alle drei Monate an 15 Nippeln abgeschmiert werden. In deutschen Tankstellen weiß niemand mehr genau, wie das geht. Das erinnert an die Spargelstecherprobleme. Dies ist aber keine sozialkritische Kolumne, sondern der Platz, auf dem der ZEIT-Autotester sein Herz öffnet. Natürlich liegt die Gefahr nahe, des Exhibitionismus verdächtigt zu werden. Wer ein altes Auto fährt, will auffallen? Weil es so langsam ist? Weil es weniger Benzin verbraucht? Weil es hübscher ist als ein… (hier fügt der verärgerte Leser bitte sein eigenes Auto ein)?

Hier: http://www.zeit.de/2005/22/Auto_2fKolumne_Citroen_Oldtimer

Gruß,

Christian

Geschrieben

Ja. Schön.

Schön, dass sich DIE ZEIT mal wieder mit dem Zeitlosen beschäftigt. Oder zumindest mit dem Zeitlichen, insofern es Anteil an der Ewigkeit errungen hat.

Gast Thorsten Czub
Geschrieben

wo gibts denn für ab 8000 Euro so einen Wagen im internet zu kaufen ???

Tratsis alain
Geschrieben

Und bitte nicht vergessen:la police francaise hat nur 11cv gehabt,die Gansters 15cv.Trotztdem,die Polizei hat gewonnen.

Geschrieben

Seit wann gab es eine Dreigangente?? Außerdem hieß der Designer Bertoni, oder?? Ist mir heute morgen direkt aufgefallen - der Artikel ist aber schon ganz nett... ;-)

Gruß

Frank

ACCM Oliver Weiß
Geschrieben

Dier ersten Tractions waren auch 7CV, der 11Cv mit 1,9 Litern hubraum kam erst später. 3-Gang Enten gabs nur als Prototypen und die Schaltung im 2CV ähnelt nur entfernt dem "Senflöffel" der Tractions. Bertoni hieß der Designer, latürnich! ;-)

Sonst wirklich nett zu lesen.

Gruß

Geschrieben

Schoen...macht Spass zu lesen. Leider bin ich nie in so einer Kiste gefahren.

Alex

Geschrieben
DynaZ16 postete

Seit wann gab es eine Dreigangente??

Hmm - das war doch eine Vorgabe, das die Ente nur drei Gängen haben soll. Soweit ich weiss. hat der Konstrukteur daher entschieden sie mit 3 Gänge + Schongang zu bauen ;-)

Gruss

Mike

ACCM Oliver Weiß
Geschrieben

Mike, du hast vollkommen recht.

Bei den ersten 2CV konnte man den Schnellgang (Kennzeichnung S und nicht 4!) nur vom 3. Gang aus einlegen und nicht über Leerlauf.

Alex,

so ein Traction fährt sich gut, aber auch anstrengend da alles ohne Servo oder ähnlichem. Ich kenne nur den 4 Zylinder vom selebr fahren (konkret: 52er 11CV Normale Radmodell), bin mal kurz in einem 15CV H mitgenommen worden. Fahren macht Spaß, vor allem durch Kurven. Mit denen kann man ganz schön schnell durch Kurven fahren, sehr zur Verwunderung anderer.

15CV soll sich wegen mehr Gewicht schwerer lenken lassen, zieht dafür souveräner aus niedrigen Drehzahlen als 11CV. Drinnen hört man fast nichts vom dem Reihensechszylinder.

Gruß

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